Graugänse

Graugänse (Anser anser)

und was sie nicht nur Konrad Lorenz lehrten

 

„Wi,wi,wi“, piepst das kleine olivfarbene, frisch geschlüpfte Gössel mit dem rahmweißen Bäuchlein, was in der Gänsesprache (nach Konrad Lorenz) soviel heißt wie „ich bin hier, wo bist du?“ Welch ein Glück, dass das Erste, was es in seinem Leben sah die eigene Mamma und nicht etwa ein Mülleimer war; denn Gänseküken schließen aus dem, was sie als Erstes nach dem Schlüpfen sehen, dass es sich hier um die eigene Mutter handeln würde. „Gang, gang, gang“ beruhigt Amanda, die erfahrene Gänsedame, das Kleine wie auch die weiteren kleinen Flaumbällchen, die allmählich den weißen bis gelblichen Schalen der fast ovalen Eier des Brutgeleges mit den gleichen Lautsignalen entschüpfen (aus in der Regel 4 bis 6 Eiern).  Seit ihrer Partnerwahl vor 6 Jahren und der Verpaarung mit dem prächtigen Ganter Gustav, mit dem sie lebenslang verbunden bleiben wird (nur beim Tod des Partners verbandelt sie sich neu), ist es schon die vierte erfolgreiche Brut zwischen Mitte März und Ende April eines jeden Jahres, denn erst zwei Jahre nach der Paarbildung beginnen Graugänse mit dem Brüten, alljährlich nur einmal. Das bedeutet es erfolgen keine Nachbruten, wenn das Gelege zerstört werden sollte, was ein großer Verlust für das Grauganspaar bedeuten würde! Sorgfältig haben Amanda und Gustav die flache Nestmulde errichtet und, weil sie sich ein sehr feuchtes Sumpfgebiet ausgesucht haben, besteht sie aus einer Anhäufung von trockenen Sumpfgräsern und -pflanzen, die sie mit einer dünnen Schicht von hellgrauen Daunen ausgepolstert haben. Die Eiablage war mit einem Legeabstand von 24 Stunden erfolgt, nach dem letzten Ei hat Amanda mit der Bebrütung (27 bis 29 Tage) begonnen. 

Foto c) E. Gelzleichter
Foto c) E. Gelzleichter

Geduldig hat Gustav sich die ganze Zeit in der Nähe des Nestes aufgehalten sie beschützt und bewacht und nun sind sie da, die Küken, die ihnen von nun an immer folgen werden, im typischen „Gänsemarsch“. Gemeinsam werden sie die Kleinen in den nächsten 50 bis 60 Tagen aufziehen - sie lehren, sich zu ernähren durch Beweidung kurzer Gräser und Kräuter an Land, das Graben mit Hilfe des Schabels nach Stauden und Wurzeln, das gelegentliche Gründeln nach Wasserpflanzen und dass Raps und Mais energiereiche Nahrung bieten - bis die eigene Schwingenmauser, die später erfolgt als die Flugfähigkeit der Jungen, abgeschlossen ist. Durch diese wunderbare Einrichtung von Mutter Natur, werden die Gössel von Amanda und Gustav nicht nur das Schwimmen erlernen, sondern auch leichter das Fliegen und die erforderlichen Flugmanöver. Sie werden bis zur nächsten Brut von Amanda und Gustav mit ihnen ziehen, manchmal auch noch länger und selbst dann, wenn sie ihre eigenen Wege ziehen, werden sie sich immer wieder an den Rastplätzen mit großer Freude an ihren Lauten und Rufen erkennen, in einem aufgeregten Wiedererkennen auch noch lange durch der Nacht.... 

Amanda und Gustav sind nur eines der vielen Grauganspaare der rund 250.000 Tiere europaweit, eigentliche Zugvögel bzw. Brutvögel Nord- und Osteuropas sowie Asiens, die durch verschiedene Umstände – wie. z.B. Futterangebot, klimatische Bedingungen usw. - gelegentlich zum Standvogel „mutieren“ Es scheint ihnen an Selbstbewusstsein nicht zu mangeln: Hoch erhobenen Hauptes schreiten sie einher in ihrer wohlbekannten Gangart mit einwärts gesetzten, starken, gelben Füßen, blicken freundlich mit klugen Augen, manchmal wie zur Begrüßung mit dem etwas klobigen, kräftigen gelben Schnabel leise schnatternd, doch laut empfindliche Störungen im Umfeld quittierend. Sie scheinen Saatgänsen zu ähneln, doch mit ihren auffällig hellgrauen Färbungen an den Vorderflügeln, die in ein kräftiges Dunkel übergehen, ebenfalls dunkleren, streifigen Färbungen an dem kräftigen Hals und hie und da schwarzen Bauchflecken können sie eindeutig als jene Gänse identifiziert werden, die schon Konrad Lorenz beeindruckten, nämlich als die häufigste Wildgansart Europas: die Graugänse  Mit einer Körperlänge von ca. 75 bis 90 cm, einem Durchschnittsgewicht von 2 – 4 kg und einer Spannweite der ausgebreiteten Flügel von etwa 147 – 180 cm zählen die „Anser anser“ zur zweitgrößten Gänseart Europas und sind mit Sicherheit die wilden Vorfahren der domestizierten Hausgänse in den Regionen Mitteleuropas.

Mutter Natur stattet diese Wasservögel aus der Gattung der Feldgänse mit nur wenigen angeborenen „Talenten“ aus, aber eine außerordentliche Lernfähigkeit hat sie ihnen in die Wiege gelegt, weshalb die wilden Graugänse wissenschaftlich zu den „höheren Tieren“ zählen; denn sie werden aus Erfahrung klug, und vielleicht fügt es die Summe der Erfahrungen, dass manche Graugans-Oldies das stattliche Vogelalter von 17 Jahren erreichen.

Mit mehr als einem Dutzend verschiedener Lautäußerungen können sich diese Wildgänse  verständigen in einem Repertoire, angefangen vom „einfachen ga, ga, gack“ der Hausgans über „Trompetenstöße“, hohen Kopftönen oder einem dunklen Schnarren, bis hin zu den wechselseitigen Rufen, die unsere Aufmerksamkeit erregen, wenn sie in ihren pfeilspitzenartigen Formationen in ihre Überwinterungsgebiete z.B. zur Westküste der iberischen Halbinsel, an die Küsten der Adria oder die Nordküsten von Tunesien und Algerien ziehen oder als Boten des Frühlings zurück nach Norden zu ihren Brut- oder Mauserplätzen zurückkehren.

“Wildgänse rauschen durch die Nacht...“ und erwecken mit ihren Rufen in uns, die wir der Erde so verhaftet sind, das merkwürdige Verlangen, es ihnen gleich zu tun: sich aufschwingen zu können hoch zum Firmament - zu wissen, wo der eigene Platz ist in der Gemeinschaft, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen - im Erkennen des Einzelnen und gegenseitigem Verstehen und Verständnis nur durch einen Zuruf! 

Foto c) E. Gelzleichter
Foto c) E. Gelzleichter