Die Namen vieler geistiger Heroen und Künstler aus der zweiten Hälfte des 19. Jhdts sind uns heute noch geläufig, Namen wie Nietzsche, Rilke, Wedekind, Gerhard Hauptmann oder Freud, Namen von Männern mit einem gewissen Bekanntheitsgrad auch noch in heutiger Zeit. Aber wer kennt schon Lou Andreas Salomé? Ihr Leben und Werk ist weitgehend unbekannt, nur Rilke-Kenner erscheint ist sie als prägende "Episode" in Rilkes Leben. Doch wer weiß schon, dass sie als erste Psychoanalytikerin Deutschlands fungierte, dass nach ihr Nietzsche den Zarathustra schrieb, Rilke das Stundenbuch, dass sie Frank Wedekind zu "Lulu" anregte, damals einen Skandal auslösend, und dass in Gerhart Hauptmanns "Einsame Menschen" Charakterzüge Lous in der Figur von Anna Mahr zu erkennen sind. Freud schenkte ihr einen der 5 Ringe, die er für besondere Freunde hatte anfertigen lassen und nannte ihr Buch "Mein Dank an Freud" "den Beweis ihrer Überlegenheit über uns alle". Die Frau, von der ein Bewunderer einmal sagte, sie knüpfe eine leidenschaftliche Beziehung zu einem Mann an und 9 Monate später bringe der Mann ein Buch zur Welt, war das Ziel einer posthumen "Hexenjagd" der Machthaber des nazistischen Deutschlands. Ihre Bücher verschwanden nach ihrem Tod in dem Keller des Göttinger Rathauses, ihr einstiger Ruhm verblasste nach und nach gleichsam in einem 2. Tod.
Es bedarf schon mehr als nur eines kurzen biographischen Abrisses, um der Vielschichtigkeit der Schriftstellerin und Psychoanalytikerin Lou Andreas Salomé und ihrer Bedeutung auch für die Nachwelt gerecht zu werden, es kann sich allerdings an dieser Stelle auch nicht um ein umfassendes Werk handeln, aber eine biographische Darstellung in mehreren Teilen ist schon erforderlich, um wesentliche Meilensteine ihres Lebens darzustellen.
" Ich bin Erinnerungen treu für immer, Menschen werde ich es niemals sein".
Nein, Menschen war sie nie treu, die Schriftstellerin Lou Andreas Salomé, aber war sie es auch ihren Erinnerungen? Den Philosophen Nietzsche hatte sie bei einem Besuch auf dem Monte Sacro (am Orta-See, einem der kleinsten oberitalienischen Seen) gründlich verwirrt, doch auf das Wie wollte sie sich selbst auch in ihrem "Lebensrückblick" nicht erinnern. "Ob ich ihn geküsst habe," sagte sie später einmal, "ich weiß es nicht mehr". (Nietzsche selbst hatte den Ausdruck "Orta-Wetter" erfunden, wenn ihn seine Krankheit beutelte). Aber sich selbst blieb "die Hexe von Hainberg" immer treu, bis zu ihrem Tode am 05.02.1937 in Göttingen.
Die Gefährtin, Muse Vertraute und Freundin von Philosophen, Dichtern und Politikern führte an der Wende des 19./20. Jahrhunderts ein ungewöhnliches Leben; schon der Tag ihrer Geburt am 12. Februar 1861, als Tochter eines Generals im Dienst des russischen Zaren in St. Petersburg, stand unter einem bedeutenden Stern der russischen Geschichte, der Abschaffung der Leibeigenschaft. Gegenüber vom Winterpalais des Zaren, im großen halbmondförmigen Gebäude des Generalstabs, in Pracht und Pomp des kaiserlichen Russlands, kam Louise von Salomé, genannt Lou (russ. Ljola), zur größten Freude des Vaters als 6. Kind des Generals nach 5 Söhnen zur Welt. Ihre Geburt wurde von von russisch- und deutschsprachigen Zeitungen der Hauptstadt gewürdigt, begleitet von den persönlichen Glückwünschen des Zaren.
Deutschsprachig, da die Familie aus dem deutschsprachigen Grenzgebiet Russlands, dem Baltikum, stammte wuchs Ljola behütet, insbesondere vom Vater und den Brüder beeinflusst, in dem Leben einer Märchenprinzessin heran. Aber die Zeiten änderten sich und die Suche nach dem verlorenen Paradies der Kindheit blieb der verborgene Urgrund alles Tun und Strebens ihres späteren Seins. Die Jugendliche fiel nicht nur durch ein gutes Aussehen, sondern auch durch eine außergewöhnliche Intelligenz auf, mit Pastor Dalton von der evangelisch-reformierten Kirche, der Religionsgemeinschaft des Vaters, der sie ebenso wie die Brüder einsegnen sollte, um theologische Argumente streitend. Hatte der Pastor doch einmal über die Allgegenwart Gottes gesprochen und mit der kategorischen Feststellung geschlossen, es gebe keinen Ort, an dem Gott nicht gegenwärtig sei, als ihn Lou mit den Worten unterbrach: "Doch, die Hölle!"
Der Gegensatz zu dem strengen Pastor bildete Hendrik Gillot, der 1873 als Pfarrer in die Dienste der holländischen Gesellschaft in St. Petersburg trat. Die Gottesdienste des faszinierenden Plauderers und gewandten Redners mit dem Auftreten eines Grandseigneurs galten in den gehobenen St. Petersburger Kreisen als gesellschaftliches Ereignis ersten Ranges. Da er nicht auf blindem Glauben und bedingungsloser Unterwerfung bestand, sondern Gefühl und Vernunft ansprach, gewann er im Handumdrehen Lous Herz. Wochenlang besuchte sie ihn, ohne die Familie zu unterrichten und Hendrik Gillot, der ihren scharfen Intellekt erkannte, begann methodisch ihren Verstand zu schulen. Das war die Veränderung in Lous Leben, ein gewaltsamer Prozess, der sie jäh aus der Traumwelt ihrer Kindheit riss. Da Lou bereitwillig und lebensbejahend spontan auf seine Gedankengänge einging, in enger geistiger Nähe zu ihm, lebte er in der irrigen Annahme, dass die 18-Jährige ihm, dem 25 Jahre Älteren - der inzwischen so von ihr besessen war, das er seine Familie verlassen und sie heiraten wollte - seine Gefühle erwidere. Aber er irrte sich wie die meisten Männer nach ihm. Lou (diese holländische Form ihres Namens gab ihr Gillot) begegnete den Männern wie Brüdern, wurde meistens missverstanden und von ihnen gehasst, wenn sie abgewiesen wurden. Wenn auch der Pfarrer Gillot sie segnete, der Mann vergab ihr nie.
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