Prof. Dr. Friedrich Pineles
Prof. Dr. Friedrich Pineles

Fast manisch stürzte sich Lou in das nächste Abenteuer, die sexuelle Beziehung mit Dr. Friedrich Pineles (genannt „Zemek“, ein Name, den ihm seine Amme gegeben hatte, was soviel wie „Erdmann“ bedeutete), den sie schon seit 1895 kannte, Spross einer angesehenen jüdischen Familie. In dieser ausschließlich leiblichen Beziehung, in der Lous sonst so gepriesene geistig-seelische Harmonie überhaupt keine Rolle spielte, so dass es offenbar zu einer inoffiziellen Trauung gekommen war, erwartete sie sogar ein Kind von dem Arzt. Nach längerem Nachdenken wird es für sie klar, dass sie das Kind gar nicht will und – ist es ein Zufall – ein Sturz von der Leiter beim Apfelpflücken kommt ihr Zuhilfe und sie verliert die unerwünschte Leibesfrucht. . Immer wieder drängt sie der Arzt dazu, sich von ihrem offiziell angetrauten Ehemann scheiden zu lassen, und ihn zu heiraten. Aber Lou ist sich nicht sicher, ob sie ihm auf Dauer treu bleiben würde, lehnt ab und beendet die Beziehung im Jahre 1908; denn eine Scheidung von Friedrich Carl Andreas wäre für sie nicht infrage gekommen, Pineles hatte nie geheiratet, widmete sich nur noch seinem Arztberuf und der Wissenschaft, macht Karriere in Wien. Die tiefe Kränkung durch Lou hatte er nie verwunden. Er stirbt 1936.

Poul Bjerre 1876-1964, Nervenarzt in Stockholm
Poul Bjerre 1876-1964, Nervenarzt in Stockholm

1911 machte sie die Schwedin Ellen Key mit dem Nervenarzt Poul Bjerre, einem entfernten Verwandten der Schwedin, 15 Jahre jünger als Lou, bekannt - eine Bekanntschaft, die bald in einer sexuellen Beziehung mündete. Der Schwede vermittelt ihr die Freud'sche Psychoanalyse zu der er ein Gegenkonzept entwickelt hatte, das er Psychosynthese nannte. Lou ließ sich begeistern, und so besuchten beide den Internationalen Kongress der psychoanalytischen Gesellschaft in Weimar, an dem auch Sigmund Freud teilnahm. Leider litt Poul Bjerres Ehefrau an einer unheilbaren Krankheit, die ihn, auch aufgrund seiner Beziehung mit Lou, sehr belastete, für Lou zu konfliktreich, ein Grund für sie, die Beziehung so abrupt zu beenden wie viele andere vorher.  

Sigmund Freud und die gealterte Lou
Sigmund Freud und die gealterte Lou

1912 trat Sigmund Freud in das Leben der Schriftstellerin, der für sie künftig richtungsweisend werden sollte. Sie begegnete ihm in Wien, war von ihm fasziniert und ließ sich zwischen 1912 und 1913 von ihm zur Psychoanalytikerin ausbilden Sie diskutiert mit ihm und hält Vorträge. Freud nennt sie „ein Frauenzimmer von gefährlicher Intelligenz“. 1903 erhielt Friedrich Carl Andreas den Ruf auf den Lehrstuhl für Westasiatische Sprachen an die Universität Göttingen. Gemeinsam mit Lou zog er dorthin in das Haus, das Lou – wie viele andere frühere Domizile – Loufried nannte. 1915 wurde er Teil der „Königlich-Preußischen phonographischen Kommission“ mit dem Ziel, die 250 verschiedenen Sprachen der Internierten in den deutschen Kriegsgefangenenlagern zu erfassen. 

Im Alter von 84 Jahren starb Friedrich Carl Andreas am 1. Oktober 1930 an einem Krebsleiden. Er hinterließ eine beachtliche Sammlung an Unterlagen, die sich heute in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek befindet.

Haus Loufried in Göttingen
Haus Loufried in Göttingen

Als Marie, die Haushälterin des Ehepaares, ein Kind von dem Professor bekam („Mariechen“) stellte Lou indigniert fest, dass dieses Verhalten „geschmacklos“ sei, obwohl sie selbst sich gerade in dieser Hinsicht während ihrer Ehe sehr unkonventionell verhielt und gelegentlich mit anderen Partnern unterwegs war. Trotzdem kümmerte sie sich um das Kind der Haushälterin, als diese früh starb und setzte das Kind Maria Apel als ihre Erbin ein.

1915 eröffnete Lou die erste psychoanalytische Praxis in der Stadt Göttingen, in ihrem Wohnhause und übte sehr erfolgreich ihren Beruf als Psychoanalytikerin aus. 

Freud war entsetzt als er erfuhr, dass sie täglich acht Stunden lang Analysen bei ihren Patienten/innen durchführte und nannte dieses Handeln „selbstmörderisch“. Er nannte sie die „Dichterin der Psychoanalyse“, während er selbst Prosa schrieb. Es war selbstverständlich, dass Lou sich durch ihren Beruf selbst analysierte, ihr eigenes Leben besser verstand und beherrschte, das war ihr in ihrem fortgeschrittenen Alter sehr wichtig.  

Anna Freud, Mitarbeiterin ihres Vaters Sigmund Freud
Anna Freud, Mitarbeiterin ihres Vaters Sigmund Freud

Ab 1921 verband sie eine enge Freundschaft mit Freuds Tochter Anna in einem regen Briefverkehr. 1922 wurden beide in die Wiener Psychoanalytische Vereinigung aufgenommen. Auf Bitten Sigmund Freuds ging sie 1923 für eine halbes Jahr nach Königsberg als Lehranalytikerin, fünf Ärzte absolvierten bei ihr eine Lehranalyse. Freud war von ihrem offenen Brief zu seinem 75 Geburtstag am 6. Mai 1931 „Mein Dank an Freud“ überrascht. Dieser antwortete u.a. mit den Worten: “Es ist das Schönste, was ich von Ihnen gelesen habe, ein unfreiwilliger Beweis Ihrer Überlegenheit über uns alle“.

Altersbild von Lou Andreas Salomé
Altersbild von Lou Andreas Salomé

Zunehmend schwächlicher wurde die alternde Lou, litt neben Diabetes an einer Herzkrankheit und musste sich daher des Öfteren einer Behandlung im Krankenhaus unterziehen. Als sie 1930 an einem Fuß operiert werden musste, besuchte ihr Ehemann sie sechs Wochen täglich, selbst alt und krank. Sie waren sich nach vierzig Jahren Ehe mit langer Sprachlosigkeit und auch Kränkungen im Alter einander näher gekommen. Lou freute sich, dass ihr Mann doch Recht mit ihnen beiden gehabt habe und Freud schrieb: “So dauerhaft zeigt sich doch nur das Wahre“. Aber im gleichen Jahr starb Friedrich Carl Andreas.  

Maria Apel, Adoptivtochter von Lou
Maria Apel, Adoptivtochter von Lou

1935 musste sich die erste Psychoanalytikerin Deutschlands einer schweren Krebsoperation unterziehen, den letzten Patienten hatte sie zuvor abgegeben. In der Folge wurde sie von „Mariechen“, der von ihr 1933 adoptierten Tochter ihrer verstorbenen Haushälterin,, gepflegt. Am Abend des 5.Februar 1937 starb sie im Schlaf.

Leise war sie gegangen, die Frau, bei deren Geburt der russische Zar Alexander I. die Glocken in St. Petersburg läuten ließ. 

 

 

Post scriptum: Ihrem Wunsche entsprechend wurde ihr Leichnam eingeäschert, die Urne im Grab ihres Mannes auf dem Göttinger Stadtfriedhof (Grabfeld 68) bestattet.

 

Lange war das Grab nur mit dem Namen von Lous Ehemann beschriftet, später fügte man ihren Namen mit ihrem eigenen Schriftzug hinzu:                    

                                  Zum Nachruf Sigmund Freuds anlässlich ihres Todes