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Die Wolfsmutter

Bran - Brasov
Bran - Brasov

 

Vor vielen, vielen Jahren lebte eine Wölfin in Rumänien, einem Land mit tiefen Wäldern, Bergen, Schluchten und Seen, in der Nähe einer großen Stadt. Eigentlich war ihre Heimat oben in den Bergen, aber sie  hatte sich in einem Buchenwäldchen nahe einer großen Stadt niedergelassen und das aus besonderen Gründen. Die grau-braune Wölfin mit den weißen Wangen hatte in den Bergen Abschied von ihrem Gefährten nehmen müssen, der durch einen Steinschlag tödlich verletzt worden war. Lange hatte sie mit ihrem Heulen nach ihm gerufen und er hatte nicht geantwortet, bis sie ihn schließlich ohne Leben auf dem Grund einer Schlucht entdeckte. Nach einer Zeit der Trauer - denn Wölfe schließen einen Lebensbund für die Ewigkeit mit dem Partner, den sie sich einmal erwählt haben – spürte sie neues Leben in sich regen. Wolfrun – so lautete ihr Name – wusste, dass sie in die Nähe von Nahrungsquellen ziehen musste, um ihre Kleinen, ohne die Hilfe des Gefährten, ausreichend versorgen zu können. Sie, die Scheue, die eigentlich die Menschen mit den Schießstöcken mied, suchte nun ihre Nähe. Dort, an der riesigen Müll- und Abfallhalde jener Stadt mit dem Namen Brasov, gedachte sie genug Nahrung zur Aufzucht ihrer Kinder zu finden. Aber ihre Wohnung hatte sie in einem alten Bunker in dem besagten Buchenwäldchen bezogen, er bot genügend Wärme und Schutz für die künftige Kinderstube. Und so nahte jener leuchtende Frühlingstag im April, an dem die niedlichen Kleinen geboren wurden. Sonnenstrahlen rieselten durch das sprossende Grün der Buchen und verirrten sich vereinzelt zur Wurfhöhle im Bunker. Voller Liebe und Glück bestaunte die Wolfsmutter die fiependen Welpen, 10 an der Zahl, ihre vielfältige Zeichnung und Färbung des Fells und ahnte Wesensarten und Entwicklung jedes einzelnen Kindes voraus, als Erbe der Vorfahren. Nun vermisste sie den Gefährten wieder besonders; denn er hätte nun für sie und den Wurf gesorgt, hätte ihnen die Beute gebracht und vor die Höhle gelegt, ohne sie zu betreten; denn die ersten drei Wochen in einem jungen Wolfsleben gehören Mutter und Kindern allein. So verbrachte sie die Tage in der Wurfhöhle, säugte und pflegte die Kinder und begab sich im Schutze der Nacht auf Jagd. Sie wusste genau, wie sie den tödlichen Biss ansetzen sollte und hetzte kein Tier zu Tode, es waren meist Alte und Kranke, die sie von einem qualvollen Leben erlöste. Oft durchquerte sie auch die große Stadt auf dem Weg zur Müllhalde, die Menschen sahen und erkannten sie nicht; sie hatte kein Interesse Menschen zu jagen, sie gehören nicht in das Beuteschema der Wölfe. Das erste Mal erlaubte sie den quirligen Kindern, die es in der Geborgenheit der Wurfhöhle nicht mehr aushielten,  nach 3 Wochen die Höhle zu verlassen. Mit den voranschreitenden Wochen erkundeten sie immer weiter das Buchenwäldchen, riefen nachts mit ihren unnachahmlichen Rufen „du und ich und ich du, wir sind vom gleichen Bluuut“ und lernten alles, was sie wissen mussten von ihrer geliebten Mutter, auch das richtige Jagen, ohne die Beute zu quälen. Wolfrune war erfüllt von Mutterstolz. Sie  führte ihr Rudel, das man auch Pack nennt, an die Futterkisten des Zoos, durchstöberte mit ihnen die Abfallhalden und das alles auch am hellichten Tage. Die Menschen glaubten streunende Hunde zu sehen ...Doch sie wusste aus den Lehren der alten Wölfe in ihrer eigenen Jugend, dass man Menschen nicht trauen kann und so entschloss sie sich mit ihrer Familie zurück in die alte Heimat, auf die Berge in die dichten Tannenwälder, den Seen und Wasserfällen wieder zurückzukehren. Das bedeutete keine Schwierigkeit für sie; denn Wölfe durchstreifen von 300 qkm!

 

Auf dem Weg zurück in die Berge begegnete die Wölfin, die ihr Pack im Schutz des Waldes zurückgelassen hatte, einem Schäfer, der fürchterlich erschrak, als er sieh sah; denn er war alt und kannte das Aussehen von Wölfen. Sie sah ihn beschwörend an mit ihren bernsteingelben Augen. „Gib mir ein Schaf,“ sagte sie, „Du hast so viele“. „Ich bin ihr Hüter,“ sprach der Alte mit zittriger Stimme, „und kann es nicht verantworten, wenn eines fehlt“. „Wenn Du nicht willst, dass eines fehlt, dann schütze sie besser“, knurrte die Wölfin, „weißt Du nicht, dass Schutzhunde und Flatterbänder uns zeigen, dass wir zur Herde keinen Zutritt haben?“ „Ich weiß es wohl, ich habe es versäumt zu tun“, gestand der Hirt beschämt. „Nun gut“, sagte die Wölfin, „ich sehe hier ein altes, krankes Schaf, es leidet fürchterlich und hinkt immer hinterher und Du hast kein Erbarmen, so will ich es erlösen“. „Alte Großmutter“, redete sie das kranke Schaf an, „Du hast nun genug geleistet in Deinem Leben, Kinder geboren, Deine Wolle gegeben und nun bist Du zu schwach, um in Würde weiterzuleben. Sie werden Dich töten, ich will es auch tun. Aber im Gegensatz zu den Menschen kann ich Dir versichern, dass Du bei mir nicht leiden wirst. Es geht schnell und Du wirst das Leben der Meinen erhalten. Erlaube es mir, ich danke es Dir und Deine wunderbare Seele wird über die Regenbogenbrücke gehen..“ Demütig flüsterte das Schaf: „Tu, wie du gesagt hast, ich bin dir dankbar für jeden Tag, den du mir an Qual ersparst“. Da tat die Wölfin, das, was sie erbeten hatte, mit einem Biss war das arme Schaf von seinen Leiden erlöst und die Wolfsmutter schleppte es weg zu ihrem Rudel. Der alte Schäfer hatte erstaunt das Gespräch vernommen und bewegte alle Worte in seinem Gedächtnis. „Danke, Wolfsmutter,“ sagte er leise, „heute habe ich viel von Dir gelernt. Wölfe sind gnädiger als Menschen“.

 

In ihre wunderschöne Heimat sind die Wölfe zurückgekehrt,  man kann ihr Rufen in den klaren Mondnächten hören: „Du und ich und ich und Du, wir sind vom gleichen Bluuut“.

 

Brasov bei Nacht . Foto Pixabay
Brasov bei Nacht . Foto Pixabay