"Nightmare" Wolf

Irr- und Aberglaube, unbegründete Ängste

Erkläre mir, dem Urwolf Amarok, verehrter Wanderer


ein deutsches  menschliches Phänomen: Die Worte „es war einmal“ und schon ist es um die Zuhörer geschehen, selbst im Erwachsenalter.  Man fragt sich, ob sie alle diese  Geschichten glauben, die den Träumen, Wünschen und Ängsten vergangener Zeiten entsprungen sind („als das Wünschen noch geholfen hat“). Doch ich bin mir sicher, Wanderer, dass sie den Märchen von Hänsel und Gretel, von Schneewittchen und Dornröschen,  dem der 7 Raben oder 7 Schwäne oder von Brüderchen und Schwesterchen keinen Glauben (mehr) schenken,  nur  das Rotkäppchen-Märchen oder das von den 7 Geißlein hat sich offenbar als Tatsache in  das tiefste Empfinden dieses Volkes eingefressen und lässt es nicht mehr los. Die Lüge vom menschenfressenden bösen Wolf, der hinterlistig im dunklen Wald auf seine unschuldigen Opfer lauert, um seine schauerlichen Untaten zu vollenden, ist und bleibt die bevorzugte Horrorgeschichte – vor allen Zombie- und Berserker-Filmen. 

Wie unterschiedlich sind dagegen die Wolfsmärchen anderer Völker, dort wird der Wolf nur in Menschengestalt zum Menschenfresser – wie wahr; denn die menschlichen Mörder kennen keine Grenzen, auch nicht vor der eigenen Art. Aber noch nie wurde die Tötung eines Menschen durch einen meiner Artgenossen nachgewiesen – weder heute, noch in den Zeiten als wir euch vertrauten und uns näherten. Was vor 20.000 Jahren als Freundschaft zwischen einzigartigen sozialen Wesen dieses Planeten begann, endete in den fürchterlichen Massakern an  meinen Brüdern und Schwestern in der Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert hinein, ein grässlicher Verrat, den wir nie vergessen haben und trotzdem halten wir uns an unser Versprechen, ihr gehört nicht in unser Beuteschema. Aber ihr: Ihr mordet täglich in euren Häusern des Todes Millionen Geschöpfe, denen ihr in Züchtungen und Vermehrungen Leben gegeben habt, zerteilt ihr Fleisch, verpackt es und schickt es in den künstlichen Winter speziell geschaffener Schränke.

Sicher, wir haben schon einmal das eine oder andere Geißlein oder Lamm getötet, aber nicht millionenfach; denn wir fressen selten, höchstens alle 2-3 Tage einmal und nur dann, wenn ihr uns nicht genug Wildtiere des Waldes überlassen habt.  Die Waldtiere zeigen uns in ihren Tänzen, ob sie kräftig oder krank sind, dann erlösen wir die Alten, Schwachen und Kranken von ihren Qualen. Es kann auch sein, dass wir einmal ein Kitz „gerissen“ haben, aber es hat in seiner Todesminute garantiert nicht gelitten, oft sieht man nur 4 kleine Punkte am Hals, die Art unseres Tötungsbisses. Aber Wanderer, hast Du schon einmal die Folgen eines Fehlschusses eines grünen Mannes mit dem Schießstock gesehen? 

Es bleibt euch Menschen überlassen, über die Gründe eures Märchen-Irrglaubens nachzuforschen, ich weiß nur eines: Sei Dir sicher Rotkäppchen, wenn Du mit Deiner roten Kappe und Deinem roten Mantel in den Wald kommst, dann habe ich keine Lust dich kennenzulernen – vielleicht beobachte ich dich, aber ich liebe dich nicht…denn du bist ein Mensch und das ist der schrecklichste aller Schrecken…

„Gefährlich ist’s den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn. Doch der schrecklichste der Schrecken ist der Mensch in seinem Wahn“. (Aus: Die Glocke von Fr. v. Schiller)