Das Ehepaar Andreas
Das Ehepaar Andreas

Lou Andreas Salomé, Tl.4 ff

General Gustav von Salomé u. Tochter Louise
General Gustav von Salomé u. Tochter Louise

Viel und weit gereist war sie, die am 12. Februar 1861 in Petersburg geborene Louise von Salomé, Tochter des durch Zar Nikolaus I. 1831 in den Adelstand erhobenen Generals der russischen Armee Gustav Ludwig von Salomé (Nachfahre südfranzösischer Hugenotten, als Kind mit den Eltern 1810 nach Russland eingereist) und seiner Ehefrau Louise, geb. Wilm, nordddeutsch-dänischer Herkunft. Sie war das jüngste Kind und die einzige Tochter des Ehepaares, das 1844 geheiratet hatte, Mitglied einer gebildeten Familie. Jeder, der sie kennenlernte, war davon überzeugt, dass sie ein außergewöhnliches weibliches Wesen war. So hatte sie sich schon mit 17 Jahren Privatunterricht  von Hendrik Gillot, dem protestantischen Prediger der holländischen Gemeinde in St. Petersburg erbeten, der sie in Philosophie, Literatur und Theologie unterrichtete. Gillot, der brillante, kultivierte „Dandy“ nannte sie Lou, eine Abkürzung von Louise, ein Name, den sie zeitlebens behielt. Fein säuberlich notierte Lou in ihrem Notizbuch alle Lektionen, wie Religionsgeschichte und Religionsphänomenologie, daneben messianische Vorstellungen im Alten Testament, Glaubensvorstellungen der Dreifaltigkeit sowie auch Dogmatismus,Logik, Metaphysik und Erkenntnistheorie. Es wurden auch die Grundsätze bekannter Philosophen behandelt, Gespräche über das französische Theater vor Corneille und die klassische französische Literatur geführt. Um sich konfirmieren zu lassen (obwohl sie 1877 aus der Kirche ausgetreten war), reiste Lou 1879 mit ihrem Lehrer in die Niederlande, der, von dem Intellekt seiner Schülerin begeistert, ihr einen Heiratsantrag machte, obwohl er bereits eine Ehefrau und zwei Töchter in Lous Alter hatte. Lou lehnte ab und vermied seit dieser Zeit den direkten Kontakt zu Gillot; denn der vor ihr geliebte, geschützte Raum war verraten und verletzt. Dazu schrieb sie:“Mit einem Schlag fiel das von mir Angebetete aus dem Herz und Sinnen ins Fremde.“ Offenbar für sie ein äußerstes traumatisches Erlebnis; denn es ließ sie für eine lange Zeit ihres Lebens auf leibliche Liebe verzichten. Immer wieder wollte sie nur auf geistiger Ebene mit Männern kommunizieren und verließ sie, wenn sie ihr körperlich näher treten wollten oder gar eine Heirat einforderten wie z.B. Nietzsche. der Grund, der ihr mit Sicherheit den Ruf einer „femme fatale“ einbrachte. Was war es, was intelligente Männer dazu brachte, sie unbedingt auch körperlich besitzen zu wollen? Es war mit Sicherheit nicht nur das gute Aussehen, jedoch sollte der unbändige freie Geist einer Frau von männlicher „Überlegenheit“ beherrscht werden. Nur der Selbstmordversuch eines Mannes, dem sie ebenfalls die Ehe verweigern wollte, brachte sie dazu, ihn zu ehelichen, zugleich aber mit der Forderung, auf einen körperlichen Vollzug der Ehe zu verzichten: Es war der am 14. April 1846 in Batavia geborene Iranist und Orientalist Friedrich Carl Andreas, der Sohn eines ehemaligen armenischen Fürsten (der nach einer verlorenen Stammesfehde den Familiennamen Bagratuni abgelegt und den Namen Andreas angenommen hatte). 1886 hatte der Professor sich ihr vorgestellt und sie gebeten, ihn zu heiraten, obwohl er sie kaum kannte und noch nicht einmal über einen ausreichenden Unterhalt verfügte. Nachdem sie ihn abgewiesen hatte, rammte sich der sprachbegabte Gelehrte (Deutsch, Niederländisch, Französisch, Latein und Griechisch) vor ihren Augen ein Messer in die Brust. Ihm wurde das Leben gerettet, sie verlobten sich und heirateten am 20.07.1887, getraut von Hendrik Gillot.  

Friedrich Carl Andreas um1920
Friedrich Carl Andreas um1920

Möglicherweise hatte der Professor gehofft, in Lous Haltung eine Art von verblassenden Mädchenträumen zu finden, jedoch er irrte sich. Als Lou eines Tages schlafend auf ihrem Bett lag und sich der Angetraute neben sie legte, erwachte sie von einem seltsamen Ton. Im Erwachsen sah sie ihre Arme über sich gestreckt, mit den Händen den Hals des Ehemannes fest umfassend, ihn würgend. Es war der röchelnde Ton, der sie erwachen ließ. Zu glauben, seine Frau im Schlaf überrumpeln zu können, war sehr töricht und bewies ihm, dass für diese geniale Frau Zwang keine Lösung war.

Georg Ledebour 1931 (Bild Bundesarchiv)
Georg Ledebour 1931 (Bild Bundesarchiv)

Es folgten noch viele Heiratsanträge, u.a. auch von dem Politiker Georg Ledebour, den sie 1891 kennenlernte, der von ihr forderte, sich von ihrem Mann zu trennen, es kam zu solchen Auseinandersetzungen unter Gewalt und Verzweiflung, dass das Ehepaar beschloss sich durch einen gemeinsamen Suizid diesen schrecklichen Konflikt zu beenden. Schließlich versprach Lou ihrem Mann, den Politiker ein Jahr lang nicht mehr zu treffen, der allerdings öfters wegen Majestätsbeleidigung im Gefängnis saß. Sie sah ihn später noch wenige Male, beendete aber schließlich die Affäre. Es war immer Lou, die die Affären beendete, auch jene mit Frank Wedekind, mit dem sie eine Zeit in Paris verbrachte (nach ihr schrieb er Lulu) oder den Arzt Friedrich Pineles, mit dem sie 1895 in Wien Bekanntschaft schloss. Diese Liaison dauerte 12 Jahre, ihn traf sie auch während der Beziehung mit Rilke, die vier Jahre dauerte, von Lou beendet.  Es war immer Lou, die die Affären beendete, auch jene mit Frank Wedekind, mit dem sie eine Zeit in Paris verbrachte (nach ihr schrieb er Lulu) oder die mit dem Arzt Friedrich Pineles, mit dem sie 1895 in Wien Bekanntschaft schloss. Diese Liaison dauerte 12 Jahre, ihn traf sie auch während der Beziehung mit Rilke, die vier Jahre dauerte, von Lou beendet.

Der Dichter Rainer Maria Rilke und Lou Andreas Salomé
Der Dichter Rainer Maria Rilke und Lou Andreas Salomé

Der junge Dichter, der sie mit einem Gedicht bezauberte, das er später auch im Stundenbuch, und zwar dem Teil „von der Pilgerschaft“, aufnahm:

Lösch mir die Augen aus: Ich kann Dich sehn,

wirf mir die Ohren zu, ich kann ich hören,

und ohne Füße kann ich zu Dir gehen.

Und noch ohne Mund kann ich Dich beschwören.

Brich mir die Arme ab, ich fasse Dich

mit meinem Herzen wie mit einer Hand

halt mir das Herz, und mein Hirn wird schlagen,

und wirfst Du in mein Hirn den Brand,

so werd' ich Dich auf meinem Blute tragen.“ 

Mit Rilke reiste sie zweimal nach Russland, 1899 und 1900, sie besuchten u.a. Iwan Turgenjew und den Grafen Lew Nikolai von Tolstoi, mit dem sie über soziale Verantwortung diskutierten. Bei einem Spaziergang in einem schönen Akazienwald bei Kiew, einen Weg, den sie schon öfters gegangen waren, warf sich Rilke plötzlich an einem Baum auf den Boden, weinte und konnte nicht an ihm vorbei. Sehr befremdlich für Lou, die den Eindruck einer Krankheit erhielt. Sie beschloss, sich von ihm allmählich zu trennen und ihn seiner Abhängigkeit von ihr zu entwöhnen. Was war die Ursache von Lous eigenartiger Gefühlskälte, die sie plötzlich und unerwartet, auch solch eine leidenschaftlich und innige Liebesbeziehung wie mit Rainer Maria Rilke (amour fou) beenden ließ? Erinnerte sie die entblößte Unvollkommenheit eines Partners an die eigene Unvollkommenheit, dass sie sich unter Umständen nie vollkommen auf einen Partner einlassen und ihm vertrauen konnte, weil sie sich selbst nicht vertraute? „Und geht es noch so rüstig hin über Stein und Steg, Es ist eine Stelle im Weg, Du kommst darüber nicht hinweg.“ (Storm) . Erkannte sie, dass es auch bei ihr eine Stelle im Weg gab, über die sie auch nicht hinauskam? 

Rainer Maria Rilke  auf Schloss Muzot
Rainer Maria Rilke auf Schloss Muzot

Es gab nach seiner von ihr empfohlenen Italienreise ein Abschiedsgespräch, sein Abschiedsgedicht für sie blieb erhalten, sein letzter Vers lautete:

Warst mir die mütterlichste der Frauen,

ein Freund warst Du, wie Männer sind,

ein Weib, so warst Du anzuschauen,

und öfter noch warst Du ein Kind.

Du warst das Zarteste, das mir begegnet,

das Härteste warst Du, womit ich rang.

Du warst das Hohe, das mich gesegnet 

und wurdest der Abgrund, der mich verschlang.“

 

 

Rilke und seine Ehefrau Clara Westhoff
Rilke und seine Ehefrau Clara Westhoff

Für Rilke wurde der Abschied fruchtbar, ihm gelang sein großes Werk, der Gedichtezyklus „Das Stundenbuch“, in drei Teilen: Das Buch vom mönchischen Leben, Das Buch von der Pilgerschaft, Das Buch von der Armut und vom Tod (Lou Andreas Salomé gewidmet, 1899 begonnen, beendet 1903). Er heiratete die Bildhauerin Clara Westhoff (beide hatten eine Tochter, Ruth) und fungierte eine Zeitlang als Sekretär des berühmten Bildhauers Auguste Rodin in Paris. Der Briefwechsel mit Lou Andreas Salomé blieb fester Bestandteil in seinem Leben.

Jedoch der Tod hatte schon seine Hand nach ihm ausgestreckt.  Am 29. Dezember 1926 starb Rilke mit nur 51 Jahren an einer Leukämie im Sanatorium Val-Mont bei Montreux. Sein selbst gewähltes Grab liegt in Raron und der vom Rosenfreund Rilke gewählte Grabspruch lautet: „O, Rose, reiner Widerspruch Lust, niemandes Schlaf zu sein unter so viel Lidern“ .

Rilkes letzter Brief an Lou

„Das siehst Du also wars, worauf ich seit drei Jahren durch meine wachsame Natur vorbereitet und vorgewarnt war. Lou, ich weiß nicht wie viel Höllen. du weißt wie ich den Schmerz, den physischen, den wirklich großen, in meiner Ordnung untergebracht habe. Und nun. Er deckt mich zu. Er löst mich ab. Tag und Nacht! Woher den Mut nehmen. Aber. Die Höllen.“
(Rilkes in seinem letzten Brief – 16 Tage vor seinem Tod – an Lou)

Rilkes Grab in Raron in der Schweiz
Rilkes Grab in Raron in der Schweiz

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