Black Elk und der Ritus des Verwandtschaftmachens, Tl. 2

Black Elk (gemeinfrei)
Black Elk (gemeinfrei)


Der zweite Tag

Zwei Tage dauerten nach Black Elks Berichten in seinem Buch „Die heilige Pfeife“ die Vorbereitungen zu dem besonderen (vergessenen) Ritus des Verwandtschaftmachens der Sioux, die einst von dem Seher „Bärenknabe“ dem Volk übermittelt worden war.

Am Abend des ersten Tages war die „Abgeordneten“ der Rie, jenes Volkes mit dem der besondere Bund geschlossen werden sollte, in ihre Tipis zurückgekehrt, um sich auf den großen Tag vorzubereiten. Auch Bärenknabe richtete sein Tipi für den nächsten Tag vor: Der Eingang beidseits mit Fellen versehen, die einige Schritte lang einen schulterhohen, schmalen Gang bildeten – die Lebensstraße. Das Fellgeländer erlaubte aufgrund seines Konzeptes keine Wendungen nach links oder rechts, sondern nur das Beschreiten des Pfades in der Mitte zum Tipi hin.

Die vier für den Ritus auserwählten Rie, die den ganzen Stamm symbolisch darstellen sollten, trugen die erforderliche Ausrüstung in das Tipi des Sehers, der auf dessen Westseite den heiligen Altar errichtete und dazu sprach: „Der Mais, den wir Sioux jetzt haben, gehört in Wirklichkeit den Rie, weil sie ihn verehren und für heilig halten, so wie wir es mit unserer Pfeife tun; denn auch sie erhielten ihren Mais durch die Güte des Großen Geistes. Es ist der Wille von Wakan Tanka, dass sie ihren Mais haben...“ (Black Elk, Die heilige Pfeife S.152). Weiterhin wies Bärenknabe daraufhin, dass aus diesem Grund nicht nur hielder Mais zurückerstattet sondern auch ein besonderer Ritus eingesetzt werden sollte, der einerseits als Friedenstifter dienen aber andererseits eine wirkliche Verwandtschaft ins Leben rufen könne, eine Verwandtschaft als Spiegelung jener Verwandtschaft, die zwischen dem Volk der Sioux und Wakan Tanka bestünde.

Der Seher legte Süßgras auf die glühenden Kohlen, das sogleich seinen duftenden Rauch entwickelte, der zum Himmel stieg, zum Morgenstern als Scheide zwischen Dunkelheit und Licht und zu den vier Mächten, die das Weltall bewachen, symbolisch aus der Altmutter – der Mutter Erde – entsteigender Rauch, in dem die heilige Pfeife geläutert wurde, ebenfalls der Mais, das Beil und die ganze übrige Ausrüstung.

Der Ritus erforderte, dass Bärenknabe das Beil nahm, nacheinander in die 6 Richtungen (Norden, Westen, Süden, Osten, oben und unten) hielt, schlug den Boden im Norden, wieder hielt er das Beil in alle 6 Richtungen und schlug den Boden im Westen und verfuhr in dieser Weise ebenso mit den Himmelsrichtungen Osten und Süden. Dann hielt er das Beil zu den Himmeln hinauf, schlug in der Mitte zweimal für die Erde und nochmals zweimal für den Großen Geist. Die harte Oberfläche des Bodens wurde aufgescharrt und mit einem geweihten Stab, der zunächst auch den Richtungen gezeigt worden war, zog er von Westen zur Mitte eine Linie, dann von Osten zur Mitte, und so verfahrend mit allen Richtungen, errichtete er den Altar. Zum Schluss bot er den Stab der Erde dar, wieder den Mittelpunkt berührend, der nun ein geheiligter Ort war; symbolisch als Mittelpunkt der Erde, gleichzeitig für die eigene innere Mitte, die in Wirklichkeit überall zu finden ist – Heim und Wohnstätte des Großen Geistes.

Bärenknabe erklärte – indem er durch das eine Ende eines Maiskolbens einen Stecken stieß, an das andere eine Adlerflaumfeder band, dass dieser Mais eigentlich den Rie gehöre, der ihnen zurückgegeben werden müsse und mit diesem besonders präparierten Maiskolben seien 12 wichtige Bedeutungen verbunden, aufgrund der 12 Körnerreihen des Maises, die er von den 12 Mächten des Weltalls erhalten habe. Wenn man von nun an den Mais anschaue, solle man an die verschiedenen Dinge denken, die der Mais lehren kann, aber in erster Linie an die nächsten Verwandten, den (Alt-) Großvater – das Große Geheimnis Wakan Tanka, Mutter Erde und die vier Mächte des Weltalls. Dazu die roten und die blauen Tage, die zwei Tageshälften – Licht und Dunkelheit -, der Morgenstern, der gefleckte Adler, der alles Heilige des Maises bewacht. Aber auch die heilige Pfeife sei eine Verwandte, da sie das Volk behüten würde und über sie die Gebete zu Wakan Tanka gesandt würden.

 

Die Flaumfedern an der Spitze symbolisierten die Maisquaste, die ihre Samen mit dem Wind verstreut und Leben gibt – so wie Wakan Tanka. Diese Flaumfeder bzw. Quaste sieht zuerst das Licht der Dämmerung, sie sieht auch die Nacht, den Mond und die Sterne. Das ist Wakan!! Der Stab, den Bärenknabe in den Maiskolben gesteckt habe, stelle den Lebensbaum dar, der von der Erde bis zum Himmel reiche, die Frucht – die Kerne in dem Kolben – seien Symbol für das Volk und alle Dinge des Weltalls. Daran sollten sich alle erinnern bei den Riten, die nun folgen sollten.

Nach dieser Erklärung lehnte der Seher den Maiskolben an das Gerüst, das bei dem Altar stand.

 

Eine weitere Rede des Oglalla-Medizinmannes und Sehers leitete zu den Riten über, in deren Verlauf viele symbolische Spiele und Handlungen sowohl der Rie und der Sioux unter Gesängen Krieg und Frieden. Als sich die Riten ihrem Ende zuneigten, dankte Bärenknabe Wakan Tanka und versicherte, dass dessen Wille und Friede sowie die Verwandtschaft ewig dauern solle, diese Völker würden miteinander den Pfad beschreiten, der rot und heilig sei.

 

Mit der Ankündigung, dass den Rie nun das Korn, das sie verloren hatten, wieder zurückgegeben sei, unter dem lauten Beifall der Leute und den „Trillern“ der Frauen wurden viele Speisen in das Tipi herbeigebracht, die letzte Zeremonie begann: Der Rie-Häuptling reinigte sich über dem Süßgrasrauch, nahm Stücke von gedörrtem Büffelfleisch mit einem kurzen Gebet zu Wakan Tanka („o Wakan Tanka sei barmherzig mit mir, dieses Fleisch ist der Same. Er soll in euern Mund gelegt werden, o Sioux, und er soll euer Leib und Seele werden, die der Große Geist euch mit all seiner Güte gab. So wie ER zu euch barmherzig ist, so müsst auch ihr zu anderen barmherzig sein!“) legte er das geweihte Fleisch jedem der abgeordneten Sioux in den Mund.

 

In der Mitte des Tipis saßen sich nun der Rie-Häuptling und der Seher gegenüber, vor jedem die Insignien des eigenen Volkes angeordnet – vor dem Häuptling die Maiskolben und vier Maisstengel, vor dem Seher ein Büffelschädel und die heilige Pfeife. Indem der Häuptling ein Stück Büffelfleisch aufnahm, über dem Süßgras räucherte, bot er es dem Seher an mit den Worten: „Ho, Sohn! Ich bin jetzt dein Vater. An diesem Tage, der Wakan Tanka gehört, hat er unsere Gesichter gesehen....“ und endete mit den Worten „...dieses Fleisch will ich in deinen Mund legen und von heute an sollst du mein Heim nie fürchten, denn mein Heim ist dein Heim, und du bist mein Sohn“. Freude erfüllte die Anwesenden, sie dankten; denn diese heilige Handlung hatte die Stämme vereint. Auch Bärenknabe vollzog umgekehrt die gleiche Zeremonie, nannte den Rie-Häuptling Vater, ergriff sodann die heilige Pfeife, bot sie den sechs Richtungen an, nahm selbst vier Züge, reichte sie dem Rie weiter und bat ihn, sie mit der ganzen Aufrichtigkeit seines Herzens zu rauchen. Auch jener bot sie zunächst den sechs Richtungen an, nahm selbst vier Züge daraus, und nun wurde die heilige Pfeife mit großer Begeisterung herumgereicht, geraucht und umarmt, sogar als sie schon längst erkaltet war...

 

Epilog

 

Noch zu erwähnen wäre, dass nach der Legende die Rie den Sioux einen Teil des Maises wiederschenkten, eine besonders herzliche Geste der Verwandschaft.

 

Black Elk meint in einem abschließenden persönlichen Kommentar, dass mit dem vorstehenden Ritus ein dreifacher Friede gestiftet war:

 

Der erste Friede, der wichtigste, ist jener, der in die Seelen der Menschen einzieht, wenn sie ihre Verwandtschaft mit allem erkennen, ihr Einssein mit dem Weltall und seinen Kräften, der Mitte, jener Wohnung des Großen Geistes, die überall zu finden ist – in jedem von uns!

 

Die beiden anderen Arten des Friedens – der zweite und der dritte (der zweite Friede ist jener, der zwischen einzelnen geschlossen wird, der dritte ist der Friede zwischen den Völkern) – sind nur Spiegelungen des wahren Friedens -des ersten - des inneren Friedens der Menschenseele, das Erkennen unserer Verwandtschaft mit allem: die sich zeigt, wenn wir fähig sind zu teilen - die Bodenschätze, die Besitztümer anderer wieder zurückzugeben und dann dankbar zu empfangen, was sie wiederum mit uns teilen vermögen.

Lasst uns aufbrechen zum großen Mitakuye Oyasin in Friede und Gerechtigkeit