Eine der ersten Universitäten, die Frauen Ende der zweiten Hälfte des 19. Jhdts. zum Studium zuließen, war Zürich, damals noch provinziell wie ein überdimensionales Dorf, das sich ein geschäftiges Handelszentrum verwandelt hatte. Die Familie Salomé kannte die Schweiz und so begleitete Frau Louise von Salomé, geb. Wilms, nach dem Tode ihres Gatten ihre willensstarke Tochter im September 1880 nach Zürich, Gott dankend, dass diese nicht Wien oder Paris zum Ort ihres Studiums (das sie missbilligte) auserkoren hatte, denn gegen Zürich hatte die nüchterne Generalscha nichts einzuwenden. Gerne hätte sie die aufmüpfige Tochter verheiratet, die aber dieses Ansinnen als abwegig empfand und mit Fleiß und Eifer Vorlesungen in vergleichender Religionswissenschaft, Philologie, Philosophie und Kunstgeschichte besuchte. Einige der hervorragendsten akademischen Lehrer ihrer Zeit waren der Theologe Biedermann, der Kunsthistoriker Kinkel und der Historiker Baumgarten, die alle die ungewöhnliche Begabung ihrer Studentin bestätigten. Ein Portrait aus dieser Zeit zeigt sie in einem streng geschnittenen schwarzen Kleid ("Nonnenkleidchen" nannte sie es), angeblich die bevorzugte Kleidung der Studentinnen in Zürich. Viele bewunderten sie wegen ihrer intellektuellen Aufrichtigkeit und Energie und die routinierte Geradlinigkeit, mit der sie ihre Studien betrieb, doch es war sicher nicht nur das herbe Aussehen mit dem streng zurückgekämmten Haar, weshalb sie auch gefürchtet wurde. Man kritisierte, sie sei zu selbständig für ihr Alter, übertrieben Ich-bezogen, ohne Gefühle für andere, mit einer Vitalität, die aus dem Intellekt stamme, ihr Wille zu männlich sei (?). Prof. Biedermann teilte in einem Brief an Lous Mutter Folgendes mit:
"Ihre Fräulein Tochter ist ein weibliches Wesen ganz ungewöhnlicher Art: von kindlicher Reinheit und von Lauterkeit des Sinns und zugleich wieder von unkindlicher, fast unweiblicher Richtung des Geistes und Selbständigkeit des Willens und in beidem ein Demant. ..." Aber Lou, die sich schon unter Gillots Führung geistig überfordert und überanstrengt hatte, so dass sie des Öfteren in Ohnmachten fiel, erkrankte ernstlich und hustete Blut. Ihre Mutter besuchte verschiedene Bäder mit ihr und hielt geforderte Diäten ein. Doch während Lous Geist in Rastlosigkeit weiterarbeitete, verfiel der Körper zusehens. Im Januar 1882 reiste die Generalscha mit der Tochter nach Rom, zu einem längeren Italienaufenthalt entschlossen. In die Zeit ihrer Krankheit fiel das Lebensgebet Lous, das mit den Zeilen begann:
"Gewiss, so liebt ein Freund den Freund, wie ich dich liebe Rätselleben - und endete
"Jahrtausende sein! zu denken! Schließ mich in beide Arme ein: Hast du kein Glück mehr mir zu schenken, wohlan, noch hast du deine Pein!"
Dieses Gedicht, von Nietzsche 1887 als "Hymnus an das Leben" mit etwas verändertem Text vertont (in "Ecce homo" wurde 1888 Lou als Dichterin des Werkes angegeben), beeindruckte Prof. Kinkel (ehem. Revoluzzer von 1848) sehr, der von der Krankheit seiner Studentin wusste und die nach dem medizinischen Stand der damaligen Zeit aller Voraussicht nach dem Tod geweiht war. Als er von ihrer Romreise erfuhr, empfahl er seine Studentin in einem Schreiben der Obhut seiner alten Freundin Malwida von Meysenbug, eine der großen Gestalten der deutschen Frauenbewegung, unter den Sozialrevolutionären von 1848 , Kämpferin für das Recht der Frauen auf höhere Bildung, glühende Befürworterin sozialer Gerechtigkeit, die aus allen diesen Gründen mit ihrer Familie aus altem Adel gebrochen und auf ein müßiges reiches Leben verzichtet hatte. Die fortschrittlichsten Geister des 19. Jhdts führten rege Korrespondenz mit Malwida, die sie alle kannte, neben Kinkel auch Schurz, Garibaldi, Froebel, Herzen (dessen Tochter sie unterrichtet hatte), Kossuth, Mazzini und Wagner, mit dem sie eng befreundet war. Bei der Grundsteinlegung von Wagners Festspielhaus in Bayreuth 1872 war sie Zeugin dieses historischen Augenblicks und hatte bei dieser Gelegenheit Nietzsche kennengelernt, damals noch des Meisters von Wagners Festspielhaus in Bayreuth 1872 war sie Zeugin dieses historischen Augenblicks und hatte bei dieser Gelegenheit Nietzsche kennengelernt, damals noch des Meisters ergebenster Jünger. Durch Nietzsche lernte sie den jungen Philosophen Paul Rée kennen und bot ihm, Nietzsche und einem jungen Jurastudenten während des Winters 1876 Obdach in einer schönen Villa in Sorrent. Malwida und Lou stellten schnell fest, dass sie sich in ihren Ansichten und ihrem Denken ähnlich waren. Besonders in der Tatsache, dass Malwida in ihren Schriften das Erziehungssystem ihrer Zeit beklagte, dass Menschen - insbesondere Frauen - von den großen liberalisierenden Einflüssen, von der Verbindung mit den elementaren Kräften und allem Ursprünglichen ferngehalten würden und so jede Originalität in ihnen zerstört würde. Der Wunsch, sich großen Eindrücken hinzugeben, mache die Menschen stark und gut...
Solche Gedanken schienen Lou ihren eigenen gleich und es entstand zwischen den beiden Frauen, so unterschiedlich sie auch im Alter und nationaler Herkunft waren, ein enges freundschaftliches Band. Durch Malwida von Meysenbug lernte sie Paul Rée kennen, der sich für sie entflammte. Gespräche mit Rée, dem Philosophen, dessen Ideen weit über die Schopenhauers hinausgingen*, pflegte sie ohne das Wissen von Malwida allein, ohne "Anstandsdame" in aller Öffentlichkeit auf langen Spaziergängen. Durch dieses für Frauen der damaligen Zeit ungewöhnliche Verhalten ermutigt, beanspruchte Rée mehr Nähe, aber sie wollte ihn nur als Freund, frei bleiben und weder ihn noch einen anderen heiraten. Sie erzählte ihm von ihren Träumen eines "Bruderschaftsideals", das im Grunde unverhohlen der Vorschlag einer "mariage à trois" zu sein schien. Durch Lous Wunsch, die Wohnung mit zwei Männern zu teilen, setzte Rée sich mit dieser Erwägung auseinander. Da weder Lous Mutter (einer von Lous Brüder sollte diese tot oder lebendig nach Hause schleppen) noch Malwida mit dieser Idee einverstanden waren, fiel ihm in diesem Dilemma sein alter Freund Friedrich Nietzsche ein, der als ehemaliger Universitätsprofessor dem Unterfangen mehr Respektabilität verleihen würde, es stellte sich bald heraus, dass Nietzsche mehr als gewillt war, diesem Plan Realität zu verleihen.
(Rée bezahlte für seine kühnen Ideen - das Leben sei sinnlos, Mord ein geringeres Verbrechen als die Schöpfung - im Oberengadin mit dem Tod (Unglücksfall? Selbstmord)?. Lous Behauptung, dass alle philosophischen Systeme das persönliche Leben der Philosophen widerspiegelten, erfuhr somit ihre Bestätigung.)
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