Lou Andreas Salomé, Tl. 3

Der Mann, der 1882 Lou Salomé zu Rom im Petersdom mit einer artigen Verbeugung und den Worten begrüßte "von welchen Sternen sind wir einander zugefallen" , war schon durch Krankheit gezeichnet, infolge der er nach 10-jähriger Berufstätigkeit am Lehrstuhl für klassische Philologie in Basel 1879 seinen Beruf aufgeben musste; denn der Gesundheitszustand des am 15. Oktober 1844 geborenen Professors Friedrich Nietzsche hatte sich so sehr verschlechtert, dass er seine Pflichten nicht mehr erfüllen konnte und der begleitende rasche Schwund seiner Sehkraft eine Erblindung befürchten ließ*. Von der Schweiz mit einem kleinen Ruhegehalt versehen, verließ er Basel, begann als "freier Philosoph" ein unstetes einsames Wanderdasein, immer auf der - vergeblichen - Suche nach einem erträglicheren Klima oder einem Gefährten der Einsamkeit, ausgestattet mit zwei Hemden und einem zweiten abgetragenen Anzug, ein paar Büchern und Manuskripten und einem entsetzlichen Arsenal an Medikamenten, Giften und Drogen, darunter auch Chloral und Veronal gegen Schlaflosigkeit. Dass dem einsamen Nietzsche der Hilferuf Rées (für die Planung von Lous "ménage à trois) gerade Recht kam, steht außer Zweifel. Die obskure Begegnung im Petersdom, war durchaus nicht  so zufällig, wie sie später in ihrem "Lebensrückblick" glauben machen will. Es war wohl zunächst der Gipfel der Ironie, dass Rée sich für seine ketzerischen Ideen und philosophischen Theorien ausgerechnet einen Beichstuhl des Petersdoms als Rückzugsmöglichkeit für Arbeiten an seinem neuen Buch ausgeguckt hatte, in dem er die Nicht-Existenz Gottes beweisen wollte. Lou, die ihre eigenen Ansichten verfocht, begleitete Rée, über diesen Umstand erheitert. Da trat plötzlich Nietzsche (Malwida von Meysenbug hatte ihn dorthin verwiesen) in seiner pathetisch-feierlichen Art auf, die sie zwar verblüffte, aber schnell gefasst antworten ließ, sie käme ihrerseits aus Zürich. Beide lachten, aber die zwiespältigen Gefühle, die L. bei dieser ersten Begegnung beschlichen, blieben bezeichnend für ihre ganze Beziehung. Sie störte seine steife gezwungene pathetische Art und sie blieb wachsam und kritisch. Der spontane Entschluss Nietzsches die junge Russin (nach kurzem Kennenlernen) zu ehelichen, stieß dementsprechend auch auf Widerstand und der als Brautwerber von Nietzsche involvierte Paul Rée (der schließlich doch selbst an ihr interessiert war) konnte ihn auch unter Aufwendung allen diplomatischen Geschickes, auf Lous Bitten nicht davon überzeugen, dass eine Heirat für sie nicht in Frage käme. Andererseits bewunderte sie den großen Stilisten der deutschen Sprache, seine brillanten sprachlichen Fomulierungen und genialen Neuschöpfungen und liebte die geistige Auseinandersetzung mit ihm und Paul Rée. Das Zwischenspiel auf dem Monte Sacro, die tatsächlichen Geschehnisse blieben für immer ein Geheimnis, hatte für etliche Verwirrungen gesorgt. Nietzsche und Lou, die auf dem Monte Sacro noch einige Baudenkmäler besichtigen wollten, hatten ihre "Besichtigungen" über Gebühr hinaus zu lange ausgedehnt, so dass Rée und Lous Mutter sich gekränkt fühlten. Dass Nietzsche bei der Rückkehr äußerst erregt erschien, dass Rée Kritik an Lou übte, sie solle zurückhaltender mit impulsiven Freundschaftsbezeugungen umgehen, schlussendlich Nietzsches Bemerkung zu diesem Spaziergang in den Worten mündete "den entzückendsten Traum meines Lebens danke ich Ihnen" und der erneute Heiratsantrag in den folgenden Tagen sind Indizien für ein in der damaligen Zeit unangemessenes Verhalten gegenüber einem Mann, den sie nicht heiraten wollte. Anlässlich dieses Heiratsantrages erklärte ihm Lou ihren Lebensplan und zu ihrer Erleichterung blieb Nietzsche gleichmütig, der wohl schon den Plan gefasst hatte, sie auf andere Weise zu gewinnen und so willigte er in die gemeinsamen Studienpläne ein, scherzhaft Dreieinigkeit genannt. Vorerst unterbreitete er den Vorschlag, sie sollten sich zur Feier dieser Dreieinigkeit fotografieren lassen, und zwar von Monsieur Bonnet, der in seinen steifen, teils snobistischen Bildern unzweifelhaft den Geschmack der Zeit repräsentierte. So kam es zu jenem denkwürdigen Bild, das nach Nietzsches Vorstellung komponiert worden war. Lou, knieend auf einem Leiterwägelchen mit einer Peitsche in der Hand, an die - um der Betrachtung eine gewisse Schärfe zu nehmen - neckisch ein Fliederzweiglein gebunden war. Die beiden Herren vorne eingespannt, Nietzsche mit hingerissenem exstatischem Blick zu den Sternen, während man Rée ansieht, dass ihm diese Situation Unwohlsein verursacht.

Das Gespann  Nietzsche und Ree  Lou, Foto von Bonnet
Das Gespann Nietzsche und Ree Lou, Foto von Bonnet

 

 

Im Hinblick auf dieses Foto ist auch nach Lous Aussage der Hinweis der "kleinen Wahrheit" im Zarathustra (mit dessen Gedanken sich Nietzsche damals schon längere Zeit trug, die er im Begriff war, zu Papier zu bringen), "Du gehst zum Weib? Vergiss die Peitsche nicht" auch in einer anderen Variante zu verstehen, als er allerorten immer wieder interpretiert wurde.

 

Elisabeth Nietzsche, die Schwester des Philosophen, genannt "das Lama".
Elisabeth Nietzsche, die Schwester des Philosophen, genannt "das Lama".

Die widersprüchlichen Gefühle Lou Salomés zeigten sich in ihren gleich gearteten Handlungen. Es widerspricht beispielsweise ihrem sonst klaren analytischen Verstand, dass sie einer Einladung Nietzsches nach Tautenburg folgte. Sie musste doch wissen, dass es unklug war, Nietzsche in irgendeiner Weise wiederholt zu ermutigen. Welcher Charakterzug veranlasste Lou zu solchem Verhalten, sicher ein stärkeres Gefühl als einfaches Geschmeicheltsein, wohl eher ein Auskosten eines unbestimmten Machtgefühls über die männlichen geistigen Heroen ihrer Zeit. Andererseits hatte Frau von Meysenbug in etwas kupplerischer Art ihre Finger im Spiel, sie wollte ihren Schützling Nietzsche in festen Händen und in anderen als denen seiner Schwester Elisabeth sehen (die eifersüchtig über ihn wachend schon seinen Haushalt in Basel geführt hatte) und Lou Salomé "unter der Haube", um sie vor weiteren "Fehlern" im Umgang mit Männern zu bewahren. Nietzsche und L. Salomé schienen für einander - zumindest auf geistiger Ebene -wie geschaffen. Deshalb war es nicht verwunderlich, dass sie L. riet, Frl. N. (Elisabeth) zu besuchen.

Lou plante nun mit stillschweigender Billigung der Mutter einen Besuch der Bayreuther Festspiele im Juli, indessen Nietzsche seine Schwester zu überreden versuchte, Lou Salomé einzuladen. Elisabeth gab, sehr zu ihrem späteren Bedauern, dem Wunsch des Bruders nach.

Elisabeth Nietzsche
Elisabeth Nietzsche

Die "unheilige" Elisabeth war als zweites Kind des Pastors Carl Ludwig Nietzsche und seiner Frau Franziska 1846 geboren worden. Sie genoss eine weiterführende Ausbildung mit gutem Erfolg u. a. auch in einem Mädchenpensionat in Dresden und bei einem "Schnupperstudium" in Leipzig. Bis zu F. Nietzsches Emeritierung hatte sie dessen Haushalt in Basel geführt, lernte durch ihn die Familien Overbeck und Wagner kennen, denen sie freundschaftlich zugetan war. Schriftstellerisch tätig, geriet sie unter den Einfluss antisemitischer Kreise, insbesondere des Lehrers Bernhard Förster, dessen antisemitische Kampagnen sie tatkräftig unterstützte und sich dadurch immer weiter von ihrem Bruder entfernte, der ihre Ansichten missbilligte. Die Streitigkeiten der Geschwister wechselten immer wieder mit Versöhnungen ab. Widerwillig begleitete sie Lou Salomé, die von dem Landgut der Rées in Stibbe kommend die Bayreuther Festspiele besucht hatte, nach Tautenburg. Doch schon unterwegs versuchte L., wohl in der irrigen Meinung, in Nietzsches Schwester einen ähnlichen Freigeist wie der ihres Bruders zu finden, in die Studienpläne der ménage `a trois einzuweihen, die aber die altjüngferliche Pastorentochter auf's Höchste empörten. Je mehr sie von Lou sah und erlebte, um so mehr erschrak sie, alles rief eine schon fast physische Abneigung des "Lamas" (so nannte der Bruder sie) gegen sie hervor, die in erbitterten Hass umschlug; denn Lou verkörperte alles, was sie verabscheute, besonders ihr unkonventionelles Benehmen, ihr schockierend offener Umgang mit Männern und eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber ihrer äußeren Erscheinung. Ja, sie kam sogar zu der Überzeugung, dass Lou gefährlich sei, da sie miterleben musste, dass diese ihre große Liebe Bernhard Förster sofort in dem Zugabteil bei der Fahrt nach Tautenburg in ein Gespräch verwickelte. Lous Tautenburger Tage mit Nietzsche hingegen schlugen sich in fruchtbaren Ergebnissen nieder*, in Lous erstem Buch "Kampf um Gott" und Nietzsches Veröffentlichung des Zarathustras. Vergeblich hatte Elisabeth versucht, Ihren Bruder von der Unzulänglichkeit, ja Gefährlichkeit seiner "Schülerin" zu überzeugen, vergeblich hatte sie Lou in der Rolle als "große Schwester" das Unmögliche ihres Benehmens vorgehalten, nichts fruchtete. Doch erzeugte die Geistesverwandtschaft zwischen Lou und Nietzsche auch immer stärkere Spannungen, Lou entschloss sich zur Abreise und gab dem Freund als Abschieds- und Erinnerungsgeschenk das "Lebensgebet". Sofort nach ihrer Abreise kam es zum Bruch zwischen den Geschwistern Nietzsche, infolge dessen Elisabeth eine unsägliche Hetzkampagne mit Verleumdungen , ob schriftlich oder mündlich, gegen Lou Salomé lostrat. Nietzsche schrieb: "Leider hat sich meine Schwester zu einer Todfeindin L.s entwickelt, sie war voller moralischer Entrüstung von Anfang bis Ende und behauptet nun zu wissen, was an meiner Philosophie ist. Sie hat an meine Mutter geschrieben, »sie habe in Tautenburg meine Philosophie ins Leben treten sehen und sei erschrocken: ich liebe das Böse, sie aber liebe das Gute. Wenn sie eine gute Katholikin wäre, so würde sie ins Kloster gehen und für all das Unheil büßen, was daraus entstehen werde.« Kurz, ich habe die Naumburger »Tugend« gegen mich, es gibt einen wirklichen Bruch zwischen uns – und auch meine Mutter vergaß sich einmal so weit mit einem Worte, dass ich meine Koffer packen ließ und morgens früh nach Leipzig fuhr. Meine Schwester (die nicht nach Naumburg kommen wollte, solange ich dort war und noch in Tautenburg ist) zitiert dazu ironisch: »Also begann Zarathustras Untergang.«" [Friedrich Nietzsche, Werke und Briefe, 1882, S. 37. Digitale Bibliothek Band 31, Nietzsche, S. 10143 (vgl. Nietzsche-W Bd. 3, S. 1192) (c) C. Hanser Verlag] 9.12.1882 an OV.

Das Ehepaar Förster-Nietzsche
Das Ehepaar Förster-Nietzsche

Elisabeth heiratete schließlich 1885 Bernhard Förster und wanderte mit ihm nach Paraguay aus, der aber dort mit seinen Projekten scheiterte und schließlich 1893 mit Selbstmord endete. Da F. Nietzsche 1889 infolge eines Schlages wahnsinnig geworden war, übernahm Elisabeth seine Pflege bis zu dessen Tode im Jahre 1900. Elisabeth oblag die Gründung des Nietzsche-Archivs und  daher frisierte und "schönte" das Andenken des Philosophen, die Tatsachen verfremdend, bis zu jenem Menschen, wie sie ihn sehen wollte, um den nihilistischen Vordenker auf diesem Wege posthum ins Interesse einer aufstrebenden Macht zu rücken, die bald die Welt in einen verheerenden Krieg stürzen würde, 1934 wurde sie von Hitler besucht. So hatte sich Elisabeth. So hatte sich Elisabeth Förster-Nietzsche auf fatale Weise emanzipiert. 

Lou Salomé und Friedrich Nietzsche, zwei Sterne auf der gleichen Bahn, die sich aufeinander zu bewegten, sie mussten zusammenstoßen, wenn sie sich trafen: "Seltsam, dass wir unwillkürlich mit unsern Gesprächen in die Abgründe geraten, an jene schwindligen Stellen, wohin man wohl einmal einsam geklettert ist um in die Tiefe zu schauen. Wir haben stets die Gemsenstiegen gewählt und wenn uns jemand zugehört hätte, er würde geglaubt haben, zwei Teufel unterhielten sich.«

 

Aus L.s Tagebuch für Rée [Curt Paul Janz, Biographie III. Lou, S. 64. Digitale Bibliothek Band 31, Nietzsche, S. 1749 (vgl. Janz-Nietzsche Bd. 2, S. 147-148) (c) C. Hanser Verlag].

Nietzsche im Krankenbett und seine ihn pflegende Schwester Elisaeth
Nietzsche im Krankenbett und seine ihn pflegende Schwester Elisaeth

* Bei der seltsamen Erkrankung Nietzsches, die ihn schließlich in den Wahnsinn führte, handelte es sich sehr wahrscheinlich nicht, wie oft behauptet, um eine primäre Geschlechtskrankheit. Das Bild mit vielerlei Beschwerden, wie Migräne, Erbrechen, wechselweisen Darm- und Magenbeschwerden, Schlaflosigkeit und Ohnmachten würde eher zu fortgeschrittenen Stoffwechselentgleisungen diabetischen Ursprungs passen, wie z. B. Aldose-Reduktase-Reaktion, was zu Katarakten (grauem Star) und Neuropathien führt, sowie Proteinglykosylierung mit Angiopathien, Nephropathien, Neuropathien und Retinopathien (Hildegard von Bingen beispielsweise empfahl schon bei Irresein die Behandlung der Nieren).

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